
Cannabislegalisierung in Europa
Cannabislegalisierung in Europa: Zwischen Fortschritt und Verantwortung
Warum eine gerechte Regulierung über Gesetze hinausgehen muss
Während sich die politische Landschaft rund um Cannabis in Europa rasant verändert – mit Deutschland als derzeit prominentestem Vorreiter – zeigt ein neuer Report, dass Legalisierung allein nicht ausreicht. Es geht um mehr als neue Gesetze. Es geht darum, welche Menschen gehört, geschützt und einbezogen werden – und welche nicht.
Der Report „The Social Impact of Cannabis Legalisation“ wurde von einem breiten Netzwerk aus Branchenexpert:innen, Strateg:innen und Aktivist:innen veröffentlicht, darunter First Wednesdays, Volteface und Krautinvest. Ihr Ziel: aufzuzeigen, wie tiefgreifend die soziale Ungerechtigkeit in der europäischen Cannabisregulierung verankert ist – und wie eine gerechtere Zukunft aussehen könnte.
Die bittere Realität: Die sozialen Folgen der Prohibition
In Europa konsumieren jährlich über 22 Millionen Erwachsene Cannabis – dennoch ist der Besitz weiterhin strafbar, in vielen Ländern sogar mit drastischen Folgen: Strafanzeigen, eingeschränkter Zugang zu Arbeit, Bildung, Wohnraum – und das alles wegen eines Joints.
Besonders perfide: Die Strafverfolgung trifft nicht alle gleich. Menschen mit Migrationsgeschichte, aus sozioökonomisch benachteiligten Milieus oder ethnischen Minderheiten werden systematisch häufiger kontrolliert, durchsucht und verurteilt. Der Fall von „Child Q“, einer 15-jährigen Schwarzen Schülerin aus London, die aufgrund eines angeblichen Cannabisgeruchs von der Polizei nackt durchsucht wurde, ist nur eines von vielen erschütternden Beispielen.
Doch diese Realität bleibt in Europa oft verborgen – weil sie nicht messbar gemacht wird. Nur 10 von 28 europäischen OECD-Ländern erfassen Daten nach Ethnien, nur zwei (Großbritannien und Irland) nach „race“. Frankreich, Deutschland und viele andere verfolgen bewusst eine „farbenblinde“ Politik – unter Berufung auf Gleichheit, jedoch zum Preis der Unsichtbarkeit struktureller Diskriminierung.
Rassismus in der Drogenpolitik: Ein europäischer Blindspot
Viele europäische Länder lehnen es ab, ethnische Daten zu erheben – aus Angst vor Missbrauch und mit Verweis auf historische Verbrechen wie den Holocaust. Doch die Folge ist: Diskriminierung bleibt unbenannt, unbewiesen, unbehandelt.
Der Bericht zeigt eindrucksvoll: Auch wenn Europa oft auf die USA zeigt, wenn es um rassistische Drogenpolitik geht – die Probleme sind hier ebenfalls präsent. In Großbritannien etwa sind Schwarze Menschen siebenmal häufiger Ziel von Drogendurchsuchungen als Weiße. Und: Über 70 % dieser Durchsuchungen enden ergebnislos – aber nicht folgenlos für die Betroffenen.
In Frankreich und Deutschland wird diese Ungleichheit zwar nicht offiziell dokumentiert, aber dennoch spürbar. So machen z. B. Menschen muslimischer Herkunft rund 9 % der französischen Bevölkerung aus – aber fast 50 % der Inhaftierten. In Deutschland wiederum sind 25 % der Drogendelikte Personen mit Migrationshintergrund zuzuordnen – obwohl sie nur rund 17 % der Bevölkerung ausmachen.
Organisierte Kriminalität und moderne Sklaverei: Das Erbe der Illegalität
Ein weiteres Problem der Prohibition betrifft nicht nur die Konsumierenden, sondern auch die Produktionskette: Die Nachfrage nach Cannabis wird nach wie vor in großen Teilen durch illegale Netzwerke gedeckt, die oft mit Menschenhandel, Zwangsarbeit und Gewalt operieren. Gerade in Europa, wo ein Großteil des konsumierten Cannabis mittlerweile lokal angebaut wird, geschieht dies nicht selten unter ausbeuterischen Bedingungen – in Garagen, Lagerhallen, Wohnhäusern.
Die Folge: Wer Cannabis konsumiert, trägt (ob bewusst oder unbewusst) zur Aufrechterhaltung dieser Strukturen bei – es sei denn, er oder sie hat Zugang zu sicheren, legalen Alternativen.
Die neue Hoffnung: Homegrow und Social Clubs
Hier setzen viele Reformpläne an – insbesondere in Deutschland. Der sogenannte „Zwei-Säulen-Ansatz“ sieht vor, den Besitz (bis zu 25g), den Eigenanbau (drei Pflanzen) sowie den gemeinschaftlichen Anbau in nicht-kommerziellen Social Clubs zu legalisieren. Später sollen auch regionale Modellprojekte zur kommerziellen Abgabe folgen.
Diese Ansätze eröffnen neue Möglichkeiten für eine gemeinschaftsorientierte, dezentrale und weniger profitorientierte Cannabisversorgung. Besonders das Modell der Social Clubs – inspiriert durch Spanien und Malta – könnte eine echte Alternative zum klassischen Retail-Modell sein: lokal, transparent, selbstverwaltet.
Doch auch hier gilt: Die Umsetzung muss sozial gerecht erfolgen. Wer darf einen Club gründen? Wer erhält Zugang zu Lizenzen? Welche Auflagen gelten? Der Report warnt: Wird hier nicht gezielt gesteuert, laufen wir Gefahr, dass dieselben privilegierten Gruppen, die vom Status quo profitiert haben, auch im legalen Markt den Ton angeben – während Betroffene der alten Gesetze außen vor bleiben.
Vergangene Ungerechtigkeit braucht aktive Wiedergutmachung
Der Bericht fordert daher konkrete Maßnahmen: Die Rehabilitierung von Menschen mit Vorstrafen, etwa durch automatische Aktenlöschung, Begnadigungen oder Hilfe beim beruflichen Wiedereinstieg. Deutschland sieht mit der geplanten Entkriminalisierung auch die Möglichkeit zur Löschung alter Einträge vor – allerdings nur auf Antrag. Ein Hindernis, das viele Betroffene davon abhalten könnte, ihre Rechte wahrzunehmen.
Ein Blick nach Kanada zeigt, dass Legalisierung nicht automatisch Gerechtigkeit bedeutet: Zwar sind dort Cannabisvergehen größtenteils entkriminalisiert, doch Menschen mit Vorstrafen profitieren kaum vom legalen Markt – zu hoch sind die Hürden, zu restriktiv die Regeln. Europa sollte es besser machen.
Und jetzt? Was wir bei etos* daraus mitnehmen
Als Marke, die nicht nur Produkte, sondern eine Haltung verkauft, verstehen wir diesen Report als Weckruf. Cannabis war nie nur ein Markt – es war und ist ein politisches Thema. Und es liegt an uns, wie wir als Community, als Branche, als Gesellschaft damit umgehen.
Unsere Haltung bei etos*:
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Cannabisreform braucht soziale Verantwortung.
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Diversität, Inklusion und Wiedergutmachung sind keine Nebensache.
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Wir stehen für einen legalen Markt, der auch den Menschen dient, die jahrzehntelang kriminalisiert wurden.
Fazit: Eine Reform, die ihren Namen verdient
Legal zu sein heißt nicht automatisch, richtig zu sein. Der Weg zu einer fairen Cannabisgesellschaft ist lang – aber möglich. Wir stehen am Anfang. Und es liegt an uns allen, ob wir daraus nur ein Geschäft machen – oder endlich Gerechtigkeit.
etos* versteht sich als Teil dieser Bewegung.
Let’s not just legalise.
Let’s legitimise.